Echoraum
2 Klar, 3 Fag, 1 Cfg, 2 Hrn, 2 Pos, Timpani, 5 Vla, 4 Vc, 3 Kb
Auftrag des Kammerorchesters Basel
Der 16-jährige Franz Schubert schrieb am 19. September 1813 ein für uns ganz rätselhaftes kurzes Stück in es-Moll für neun Blasinstrumente. Ob der Titel «Franz Schuberts Begräbnis-Feyer» von seiner Hand stammt, ist umstritten. Sollte das für den Jungen eine Imagination des eigenen Begräbnisses sein? Dass Schuberts Nähe zu Todesgedanken immer wieder aus seiner Musik spricht, ist heute ein Gemeinplatz. (Vor hundert Jahren sah man seine Neigungen gemeinhin eher bei den Drei Mädeln oder im Tanzlokal). Es könnte hier einfacher sein: Am 26. August 1813, also wenige Wochen davor, war der 22-jährige Dichter Theodor Körner im Befreiungskrieg gegen Napoleon bei Gadebusch gefallen. Körner, frisch in Wien, war das gewesen, was wir heute einen umschwärmten Shootingstar nennen. Gewiss hatte er auch den genialen Jungen stark beeindruckt. Aus dem kurz danach posthum erschienenen Gedichtband «Leyer und Schwerdt» hat Schubert denn auch in kürzester Zeit elf Lieder und zudem ein ganzes Singspiel über einen Deserteur komponiert.
Die Form dieser Trauermusik ist von lapidarer Schärfe, bestehend aus einer zweiteiligen Melodie mit Wiederholungen, gespielt allein von zwei Hörnern. Mit einer auf diesen Instrumenten damals ungewohnten Chromatik entsteht durch Stopftöne ein seltsam bedrückter Klang, der in einem Triller auf dem Leitton fast ins Groteske kippt. Verblüffend danach der kräftige Einsatz aller neun Blasinstrumente, darunter auch Posaunen und Kontrafagott. Sie wiederholen genau das gleiche Stück samt Wiederholungen, aber ohne den fatalen Triller. Aus diesem schnörkellosen Insistieren entsteht eine Monumentalität ohne Wenn und Aber.
Meine Reaktion auf diese Komposition nimmt, gleichsam in einem «Echoraum», die Idee der Vergrösserung auf. Wie vor Sonnenuntergang grosse, lange Schatten auf dem Boden sichtbar werden, sind die Motive in stark verlangsamter Bewegung zeitlich gedehnt. Das Instrumentarium erhält noch einmal eine Erweiterung um zwölf tiefe Streicher und Pauken. Im Wesentlichen läuft das Ganze Takt um Takt nochmals ab, bloss mit auskomponierten Wiederholungen. Die «Schicksalstonart» es-Moll bleibt durchwegs spürbar – etwas erweitert, freilich.
© Roland Moser, 13.03.2019
Radio SRF2 Kultur
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Kammerorchester Basel
Leitung: Heinz Holliger