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Ach! Aber ach!

Gattungen
Vokalmusik
Orchester
Werkgruppen
Musik über Musik
Nach-Denken über die Kantate BWV 163 «Nur jedem das Seine» von J. S. Bach und S. Franck in Form eines instrumental-vokalen Rezitativs mit Choral für vier Stimmen, sechs Streichinstrumente und Orgel

Jahr
2012
Dauer
12'
Besetzung

Sopran, Alt, Tenor, Bass
2 Vl, Vla, 2 Vc, Violone (5 Saiten: ''H 'E 'A D G), Orgel

Bemerkung

Komponiert im Auftrag der J.S. Bach-Stiftung St. Gallen

Widmung

Rudolf Lutz gewidmet

Beschreibung

Ach! aber ach!  Sprachlaut als reiner Ausdruck, ohne «Bedeutung», Ausdruck ratloser Betroffenheit, sprachliches Innehalten, tönende Pause -

- Ach! aber ach!  wie leicht nimmt ihn der Schwindel ein  (Gryphius)
Ach! aber ach!  die Pein der Ewigkeit hat uns kein Ziel (J.S. Bach, Kantate 20 Oh Ewigkeit, du Donnerwort)
- Ach! aber ach!  mir graut, wenn ich in meine Gewissen gehe (S. Franck, Kantate 168)
- Ach! aber ach!  das Mädchen kam / und nicht in acht das Veilchen nahm (J.W.v. Goethe)
- Ach! (letztes Wort in Kleists Amphytrion, von Alkmene gesprochen)

Nach-Denken, ein Versuch, mit Musik an diesem Punkt der Ratlosigkeit einzusetzen. Sprache wird zunächst nur instrumental artikuliert, mit unterlegtem Text zwar, aber bloss in musikalischem Ausdruck fassbar. Die Bass-Stimme gelangt erst über einsilbige Sprachlaute allmählich zu einem Text, aus dem sie aber - im langen Rezitativ mit dem schattenhaft «sprechenden Orgelportal» - wieder zurückgeworfen wird.

Nach-Denken über den Titel von Bachs Kantate Nur jedem das Seine.
Ein scheinbar ganz harmloses Wort, aber bereits vor zweieinhalbtausend Jahren von Sokrates im ersten Dialog von Platons «Staat» zerzaust, später im römische Recht (suum cuique) festgeschrieben, ist in der eisernen Inschrift am Eingangstor zum Konzentrationslager Buchenwald zum unauslöschlichen Skandal geworden.

Bach interpretiert die Formel in der eröffnenden Tenor-Arie anders als sein Textdichter Salomo Franck. Jeder, wer ist das? Auf den Evangelientext bezogen (Matthäus 22, 15-22, ... so gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist...) können hier nur zwei gemeint sein: die Obrigkeit (der Kaiser) und der Höchste (Gott). Dem ersten gebührt die Steuer, dem zweiten soll das Herz gehören. Es mag theologisch schon etwas unpassend anmuten, dass auch Gott dergestalt unter «Jedem» subsumiert wird... Bach ignoriert dieses Problem und komponiert klar einen Appell an das Volk, an jeden, indem er die ganze Formel in unablässigen Wiederholungen (da capo inklusive) vierundzwanzigmal vom Tenor und um ein mehrfaches von den Instrumenten artikulieren lässt.

Das Seine ist nach diesem Verständnis, was jedem gebührt: dem Guten das Gute, dem Bösen das Böse. Weder Kaiser noch Gott sind hier gemeint, sondern jeder schuldbeladene Christ. Die platte Gerechtigkeitsfloskel ist allerdings kaum «christlich» zu nennen und schon Sokrates hat früh ihre Absicht durchschaut.

Die Komposition Ach! aber ach!  in Form eines Rezitativs mit Choral bezieht sich denn auch nicht auf den Titel der Kantate, sondern auf deren erstes Rezitativ mit Bassstimme: ...Ach! aber ach!  ist das nicht schlechtes Geld? Der Satan hat dein Bild daran verletzet, die falsche Münz ist abgesetzet. Sie geht aus von Verzagtheit angesichts eines «Geschäfts», das wohl nimmer der Logik folgend aufgehen wird. So ist der Gnadenwunsch, der im Choral steckt - in dieser Version eher zögernd als selbstbewusst vorgebracht - wohl das was hoffentlich ... bleibe.

Roland Moser 
zur Uraufführung 16. Nov. 20212

 

Uraufführung
Trogen, 16. November 2012
Besetzung der Uraufführung

Miriam Feuersinger, Sopran
Markus Forster, Altus
Gerd Türk, Tenor
Markus Volpert, Bass
Rudolf Lutz, Orgel
Streicher der J.S. Bach-Stiftung
als Gast: Käthi Gohl Moser, Violoncello
Leitung: Rudolf Lutz

Verlag
Ms.